„Don’t blink. Tomorrow they’ll be off to college!“
„Time is a thief.“
„Die Zeit kommt nicht wieder. Die musst du genießen!“
Ich weiß nicht, wie viele Sätze dieser Art ich in den letzten sieben Jahren als Mama gehört habe. Einerseits tut es gut, ab und zu daran erinnert zu werden, wie wertvoll die Zeit mit unseren Kindern ist. Und in so mancher anstrengenden Nacht, in der ich im Halbschlaf Tränen getrocknet, Hände gehalten und Schlaflieder gesungen habe, hat mich diese Perspektive durchgetragen. Irgendwann wollen sie nicht mehr kuscheln beim Einschlafen. Irgendwann werden sie nachts nicht mehr aufwachen und nach mir rufen. Und während ich mir manchmal nichts sehnlicher gewünscht hatte als eine Nacht durchzuschlafen (ohne von irgendwem berührt zu werden), wusste ich auch genau, dass ich irgendwann – wenn die Kinder groß sind – zurückblicken und sagen werde: „These were the days.“ All die Dinge, die mir heute manchmal den letzten Nerv rauben wollen, werde ich irgendwann vermissen – die Legos, die im ganzen Wohnzimmer verteilt werden; die Krümel auf dem Fußboden; die klebrigen Händeabdrücke an den Fenstern; das 1000 Mal Mama rufen pro Tag oder „Ich hab Hunger!“; am Geburtstag morgens um 5 geweckt zu werden. Da tut es schon gut, sich immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass diese ersten Jahre etwas Besonderes sind, so herausfordernd und anstrengend sie auch oft sind.
Jetzt aber zum „andererseits“. Diese Floskelsätze können einen nämlich auch ganz schön unter Druck setzen. Die Zeit ist ein Dieb, vergeht so schnell, dass man nicht mal mehr blinzeln soll? Sprich, wir sollen möglichst jeden Moment auskosten und aus jeder (vielleicht noch so anstrengenden, schwierigen oder herausfordernden) Situation das Beste machen? Das kann ja auch nicht die Lösung sein. Denn, mal ehrlich, unseren Kindern jede Sekunde unserer Aufmerksamkeit zu schenken klingt weder machbar noch sinnvoll. Außerdem wollen auch Rechnungen bezahlt, Wäsche gewaschen, Rasen gemäht und Krümel gesaugt werden. Ständig nostalgisch daran zu denken wie schnell die Zeit vergeht, nimmt einem nur die Freude am Hier und Jetzt – davon hat auch keiner was.
Ein weiteres „Problem“, das ich mit diesen Phrasen habe, ist die Sache mit der Zeitwahrnehmung. All diese Phrasen haben eigentlich einen gemeinsamen Nenner: Die Zeit (mit Kindern) vergeht wie im Flug. Da ist sicher etwas dran – sonst hätte ich den Satz in zahllosen Ausführungen in den letzten sieben Jahren nicht so häufig gehört. Aber ich persönlich kann dem nur bedingt zustimmen. Ich erinnere mich noch gut an den ersten Geburtstag unserer Tochter, an dem abgesehen von „Happy Birthday“ wohl am häufigsten der Satz fiel: „Sie war doch grade erst ein Baby!“ Und während sich das für andere vielleicht so angefühlt hat, dachte ich nur: „Äh nein. Das war das längste Jahr meines Lebens!“ Und das meine ich gar nicht negativ. Aber das Jahr war alles andere als kurz. In dem Jahr ist so viel passiert. Zum ersten Mal Mama werden, zum ersten Mal stillen, zum ersten Mal krabbeln, zum ersten Mal Brei essen, the list goes on… In dem ersten Jahr hat sich so viel verändert, dass ich rückblickend kaum glauben konnte, dass es NUR ein Jahr war.
Vielleicht fühlte sich auch einfach lang an, weil ich nicht nur tags sondern auch nachts wach war, ha!
Ich bin nach wie vor kein großer Fan von Floskeln, wenn es um das Konzept von Zeit geht. Trotzdem muss ich zugeben, dass es immer öfter Momente gibt in denen mir plötzlich bewusst wird, wie groß unsere Kinder geworden sind. Vielleicht liegt es daran, dass unsere Kinder keine Kleinkinder mehr sind, sondern richtige eigene Persönlichkeiten. Vielleicht liegt es daran, dass wir noch in diesem Jahr zwei Schulkinder haben werden. Zwei?! Vielleicht liegt es daran, dass mein Sohn mehr über Tiere weiß als ich. Vielleicht liegt es daran, dass die Schuhe meiner Tochter fast so groß sind wie meine. Und Schnürsenkel haben. Die sie sich alleine zubinden kann!! Vielleicht liegt es daran, dass ich gleich einen Dollar unter ihr Kissen lege, weil endlich der dritte Wackelzahn rausgefallen ist.
Dann habe ich am Wochenende auch noch auf A Cup Of Jo folgenden Kommentar einer Leserin gelesen, der mir nicht mehr aus dem Kopf ging:
„My kids are 22, 19 and 16, and if I had one wish it would be for the doorbell to ring and for it to be their little selves standing there, at any given age along the way, with overnight bags packed to spend a day or two with all of us. To relive those moments (to scoop up those little faces that I miss!) and to think how they’d react and interact individually and collectively – them ‚then‘ and them ’now‘ – well, just thinking about it makes me laugh and get teary every time. I can only hope this is what grandparenting will be like.“
I mean, phew! Wenn ich mir vorstelle, dass unsere Kinder in gut zehn Jahren mit einer Reisetasche vor der Tür stehen um das Wochenende mit uns zu verbringen? Ein bisschen viel für mein Mamaherz gerade. Ob sie sich dann immer noch deutsche Pfannkuchen zum Frühstück wünschen werden? Und Schnitzel zum Abendessen? Ob wir sie dann immer noch mit einem gemeinsamen Spieleabend glücklich machen können? Oder lieber eine Flasche Wein aufmachen und uns über das Studium, den Job, ihre Freunde, das Leben unterhalten werden? Ob sie sich morgens über den Duft von frisch gebrühtem Kaffee freuen oder sich dann immer noch über den Geruch beschweren? Ich weiß nicht, ob die Cup of Jo-Leserin wusste, was sie mit diesem Kommentar bei so mancher Mama auslösen würde. Und dann sehe ich meine Tochter in ihren Leo-Chucks in Größe 34,5 und plötzlich brauche ich gar nicht mehr so viel Fantasie, um mir vorzustellen, wie sie vor unserer Haustür steht. Fehlt eigentlich nur noch die Reisetasche.
Aber (wie ich oben ja ausführlich erläutert habe, ähem) bringt es nun mal nichts, (lange) zu weinen, weil die Zeit nun mal vergeht. Das heißt aber nicht, dass wir machtlos hinnehmen müssen, wie schnell oder langsam die Zeit vergeht. Den berühmten Pause-Knopf, den alle Eltern irgendwann mal drücken wollen, habe ich zwar nicht erfunden. Aber ich glaube, es gibt Möglichkeiten den Alltag zu entschleunigen. Bewusst Zeit zu schaffen im Alltag. Nicht um produktiv zu sein, etwas zu erledigen oder To Do Listen zu schreiben. Sondern Zeit haben um das zu tun, wozu man gerade Lust hat. Bzw. wozu die Kinder gerade Lust haben. Zeit zu schaffen, um Ja sagen zu können, wenn die Kinder mit uns auf dem Trampolin hüpfen wollen. Ja sagen zu können, wenn sie Chocolate Chip Cookies backen wollen. Ja sagen zu können, wenn sie ein Puppentheater vorführen oder Ninja Turtles spielen wollen. Denn die Zeit ist nicht nur ein Dieb. Sie ist auch ein Geschenk.
Ich freue mich jedenfalls auf all die schönen Momente, für die wir Zeit haben werden. Und anstatt jetzt schon an den Tag zu denken, an dem unsere Kinder nicht mehr an Zahnfee, Osterhase und Weihnachtsmann glaubt, spiele ich jetzt Zahnfee und freue mich auf morgen.
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